Eine Frauenkooperative vor dem Aus
Mit den Lockdowns begann in den Armenvierteln Kolumbiens der nackte Kampf ums Überleben. Die Menschen, die bereits vor der Krise täglich um Ihre Existenz fürchten mussten, sind nun völlig an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Solidarite, eine Frauenkooperative, die alleinerziehenden Müttern seit 2007 den Weg aus struktureller Armut und Prostitution weist, steht aufgrund der Corona-Krise vor dem Aus. Die letzten Ersparnisse sind aufgebraucht. Ohne Hilfe von außen werden die Mütter alles verlieren, was sie sich in den letzten Jahren mühevoll aufgebaut haben.
“Ich wollte nicht, dass sich die Geschichte noch einmal wiederholt”, erzählt Valentina* und drückt liebevoll ihren vierjährigen Sohn an sich. Sie arbeitet als Prostituierte in der Millionenstadt Medellin, in Kolumbien, als sie das erste Mal von Solidarite erfährt. Die Frauenkooperative wird schließlich ihr Ausweg: Mit ihr durchbricht die 28jährige den Teufelskreis, der sie seit ihrer Kindheit verfolgt. Ihre Geschichte und ihr Schicksal teilt sie dabei mit vielen anderen Frauen der Kooperative.
Vom Hunger und dem kampf ums Überleben
Als Fünfjährige kam Valentina einst mit ihrer Familie in die Metropole. Ihr Vater, ein einfacher Bauer, hoffte auf bessere Chancen in der Stadt. Doch die Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Am Ende lebt die Familie in einem der Armenviertel – zwischen Wellblech und Pappe. Der Vater beginnt zu trinken und wird immer häufiger gewalttätig. Am Ende lässt er die Mutter mit Valentina und ihren drei Geschwistern allein zurück.
Ohne Ausbildung hat Valentinas Mutter kaum Möglichkeiten, das Überleben der Familie zu sichern. Sie beginnt als Müllsammlerin zu arbeiten. Doch mit dem bisschen Einkommen kann sie oft nicht einmal die nötigsten Lebensmittel kaufen. Valentina bricht die Schule frühzeitig ab und beginnt ihren Körper zu verkaufen, um ihre Mutter und die Geschwister zu unterstützen und wird dabei schwanger.
Von Hoffnung und Würde
Ohne Mann mit einem Neugeborenen und ohne berufliche Perspektiven ist Valentina verzweifelt. Sie will raus aus der Prostitution, vor allem für ihren Sohn, weiß aber nicht, wie sie das Überleben sichern oder ihrem Kind gar Bildung und Perspektive ermöglichen soll. Über eine Nachbarin erfährt sie schließlich von einer Frauengruppe mit dem Namen „Fundación Opcion Futuro“ (Solidarite), übersetzt „Stiftung Zukunftsoption“. Die Initiative wurde 2007 von Dominique Bayet, einem Laiensalvatorianer, gegründet, nachdem er bereits zuvor mehrere Jahre gemeinsam mit Schwestern, Patres und Laien, Müttern aus den Armenvierteln geholfen hatte.
“Wir wollten die Frauen aus ihrer Ausweglosigkeit befreien und ihnen ihre Würde zurückgeben”, erzählt er. In Handwerkskursen erlernen die alleinerziehenden Mütter Taschen und Accessoires herzustellen, aber auch Grundkenntnisse in Vertrieb und Marketing. Und das Wichtigste: Die Frauen tragen selbst die Verantwortung. Valentina lernt die Frauen dort kennen und fasst neue Hoffnung. Von Zuhause aus fertigt sie Schmuck und Makrame, verkauft sie über einen Katalog an Frauen aus den besseren Vierteln. Sie verdient ein sicheres Einkommen und kann dank Heimarbeit gleichzeitig für ihren Sohn da sein. „Solidarite hat mir gezeigt, dass man manchmal Dinge ausprobieren muss, von denen man glaubt, dass man sie nicht beherrscht.“
Eine Erfolgsgeschichte vor dem Aus
Mehr als 100 Frauen fanden über Solidarite mittlerweile den Weg in die Selbstständigkeit. Lourdes Varela, Trainerin der Frauenkooperative, ist stolz auf die vergangenen Erfolge: „Zu sehen, dass unsere Arbeit Früchte trägt, ist unglaublich befriedigend.“
Doch nun hat Covid-19 und seine Folgen auch die Mütter der Solidarite erreicht. Die Nachfrage sank im letzten Jahr drastisch und Frauen wie Valentina verloren nach und nach die Abnehmer der selbst erzeugten Produkte. Nun kämpfen die alleinerziehenden Mütter der Frauenkooperative ums Überleben.
Erst vor wenigen Wochen erreichte uns der Hilferuf des Leiters der Frauengruppen. Dominique Bayet schreibt uns unmissverständlich, dass ohne unsere Hilfe den Frauen und ihren Kindern erneut ein Leben in Armut, Gewalt und Hunger droht. Die spärlichen Ersparnisse, die in den letzten Jahren durch die Arbeit in den Frauengruppen hart erarbeitet wurden, seien bereits gänzlich aufgebraucht – die Frauen stehen vor dem Nichts und das Projekt vor dem Aus.
* Name von der Redaktion geändert
So können Sie helfen
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